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Piccadilly, bis heute eine der ersten Londoner Adressen für das männlich dominierte Londoner Clubleben – es kam einer Revolution gleich, als 1903 am Piccadilly 128 in direkter Nachbarschaft zum Yachting-Club das Lyceum Clubhaus für Lyceinnen eröffnete. Tee trinkende Damen waren auf den Balkonen zu sehen, diskutierende Frauenrunden konnten hinter den Fenstern beobachtet werden. Der Lyceum Club war jedoch mehr als ein Club, es war ein Mikrokosmos für Frauen, an dem studiert, diskutiert, kreiert, ausgestellt und auch gewohnt werden konnte.
Die Initiative für den ersten Lyceum Club weltweit geht auf Constance Smedley (*1876 †1941) zurück. Sie entstammte einem bildungsbürgerlichen Haus in Birmingham. Schon früh erkannte und förderte die Familie ihre literarische Begabung. Durch einen Treppensturz im Alter von zwei Jahren war Constance Smedley zwar auf den Rollstuhl angewiesen, dies hinderte sie aber nicht an der Durchsetzung ihres Wunsches, künstlerisch begabte Frauen zu unterstützen.
In Lady Frances Balfour und ihrem Vater William Smedley fand sie die wichtigsten Förderer ihrer Vision: einen Ort für künstlerisch tätige Frauen zu schaffen, an dem sie arbeiten, sich mit Gleichgesinnten austauschen, ausstellen und sich international vernetzen konnten. Lady Balfour, Schwiegertochter des amtierenden Premierministers Francis Balfour, hatte sich zuvor für die aufkommende Frauen-Wahlrechtsbewegung der „Suffragetten“ in England eingesetzt. Sie übernahm im Gründungsjahr für den Club das erste Präsidentinnen Amt. William Smedley hatte nicht nur die prestigeträchtige Immobilie am Piccadilly besorgt, sondern war zugleich auch der Schatzmeister des Lyceum Clubs.
Die Namensgebung Lyceum geht auf die lateinische Bezeichnung „Lykeios“ zurück, der griechische Beiname des Gottes Apollon, der Beschützer der Kunst, Wissenschaft und Literatur. Es ist zugleich ein geweihter Hain mit zugehörigem Gymnasium, in dem Aristoteles seine SchülerInnen lehrte. Der Lyceum Club verstand sich als geschützter Ort, an dem Frauen wirken und im Austausch sein konnten.
Der erste Lyceum Club in London fand weltweit große Beachtung. Die Malerin und Schriftstellerin Marie von Bunsen gilt als Initiatorin des ersten kontinentalen Clubs, deren Gründungsidee sie auf dem 1904 in Berlin stattfindenden „Internationalen Frauenkongress“ vorstellte. In der Frauenrechtlerin und Unternehmerin Hedwig Heil fand sie eine wichtige Fürsprecherin. Dem 1905 gegründeten Berliner Club stand diese bis 1920 als amtierende Vorstandsvorsitzende vor. Das vom englischen Club finanzierte und ausgestattete erste Clubhaus lag in der Potsdamer Straße 118b, in unmittelbarer Nähe zu den schon bestehenden Frauenorganisationen „Verein Berliner Künstlerinnen“ und dem „Bund Deutscher Frauen“.
Was unterschied den Lyceum-Club von diesen Institutionen?
Zahlreiche Künstlerinnen des „Vereins der Berliner Künstlerinnen“ traten alsbald in den Lyceum Club ein, weil sie unter gleichgesinnten Kulturschaffenden waren, Auftraggeberinnen fanden und sich international vernetzen konnten – so berichtet es die Malerin und Lycein Julie Wolfthorn. Die Sichtbarkeit, die die Lyceinnen durch ihre Mitgliedschaft bekamen war enorm. Die erste Ausstellung in der Galerie des Wertheim-Kaufhauses in der Leipziger Straße richtete der Londoner Club aus. Von der englischen Arts & Craft-Bewegung geprägte Kunstgewerbe-Arbeiten von Lyceinnen wurden hier gezeigt und dienten zugleich dem Kulturaustausch. Die Weihnachtsausstellung der Berliner Lyceinnen im Gründungsjahr 1905 war ihre erste Präsentation, der ein reicher Ausstellungsreigen folgte und 1912 mit der Präsentation zu „Die Frau in Haus und Beruf“ seinen Höhepunkt fand. Über 10.000 Frauen waren bei der Realisierung dieser Ausstellungsschau beteiligt, die die gesellschaftliche Stellung und das Wirken der Frauen in den Mittelpunkt stellte.
Mit dem Verkaufserlös aus dieser Ausstellung finanzierte der Club seine neue Immobilie am Berliner Lützowplatz, die Innenausstattung geht auf Entwürfe von Lyceinnen zurück. Es ist zugleich als zentraler Beitrag zur feminin geprägten Architektur und zum Kunstgewerbe vor 1914 zu werten. Über 1000 Berliner Lyceinnen prägten diese „Genossenschaft für Frauen“, die zugleich ein „who is who“ des Berliner Bildungsbürgertums war, darunter berühmte Persönlichkeiten wie Gertrud Bäumer, Käthe Kollwitz, Helene Lange, Marie Elisabeth-Lüders, Anna Muthesius, und Julie Wolfthorn.
Nach Enteignung des Clubs 1939 und Neugründung 1956 existieren heute noch fünf aktive Clubs in Deutschland: in Berlin, Hamburg, Köln, Frankfurt/Main und Stuttgart. Weltweit sind es 72 Clubs in 17 Ländern, davon 14 Clubs in der südlichen Hemisphäre. Das anspruchsvolle Programm richtet sich an kunst- und kulturinteressierte Frauen, die Inspiration und den Austausch in diesem Bereich suchen und die freundschaftliche Verbindung der Lyceinnen schätzen. Die Internationalität wird durch Club-Partnerschaften mit ausländischen Clubs und die regelmäßig stattfindenden Europäischen Kulturtage und den dreijährig stattfindenden Kongress gepflegt. Zum 120jährigen Jubiläum finden die nächsten Kulturtage vom 13. bis 15. Mai 2023 in Athen statt, der nächste Kongress im April 2025 in Tauranga, Neuseeland.
Das 120jährige Gründungsjahr der Association Internationale der Lyceum Clubs möchten die deutschen Lyceum Clubs für mehr Sichtbarkeit nutzen: eine stärkere Vernetzung mit anderen Frauenorganisationen und die Intensivierung ihres sozialen Engagements stehen dabei im Mittelpunkt. Eine erneute Intensivierung der Ausstellungstätigkeit könnte zugleich die Attraktivität und aktive Einflussnahme auf das Kunst- und Kulturgeschehen bewirken. So könnten die Lyceum Clubs zu einer wichtigen Säule der deutschen Kulturlandschaft werden und den internationalen Austausch mit befördern.
Dr. Simone Oelker, www.communication-art.de